Donnerstag, 27. September 2012

Schal.

Und dann war sie auf einmal ganz traurig. Die Bahn fuhr ab,  verschwand schnellen Windzuges aus dem alten Jugendstilbahnhof, schlängelte sich windend über die Brücke, raus aus der Stadt. Ihr war kalt. Ein paar Meter weiter saß ein Obdachloser auf einer Bank, Gepäck um sich verstreut, selbstversunken in eine kleine, durchsichtige Flasche, eindeutig Alkohol. Ein kleiner Junge stand davor, Pudelmütze, Fellweste und winzig kleine Stiefelchen, die aussahen, als haben sie bereits einige Runden Bobbycar erfahren dürfen, betrachtete ihn und bohrte dabei mit einem Finger in der Nase. Seine Mutter zog ungeduldig an einer Zigarette.

Sie band den Schal etwas enger und ging. Vorbei an den Zeitschriftenständern. Vorbei an den Imbissbuden. Vorbei an den Ankommenden, den Gehenden, den Wartenden, den Bleibenden. Vor dem Bahnhof blieb sie kurz stehen und atmete durch. Sie hatte noch eine halbe Stunde Zeit bis zu dem Treffen mit ihrer alten Arbeitskollegin. Als damals alle hektisch die Scherben des Börsencrashs zusammen zu flicken suchten,  suchte sie das Weite. Packte sich einen Rucksack, kaufte sich eine Ein-Weg-Fahrkarte auf irgendeinen Kontinenten – sie konnte sich nicht einmal mehr erinnern, wohin ihre Kollegin ging.  Südamerika? Südostasien? Südirgendwas – und verschwand damals.

Jetzt war die Verreiste plötzlich wieder da, und als sie hörte, dass sie in die Stadt kommen würde, freute sie sich auf ein Treffen. Sagte sie. Menschen, mit denen man vertraut war, vertraut man sein Leben lang, heißt es.  Wenn es nicht zu einem Streit kam, ergänzt sie in Gedanken.

Sie schritt zögerlich auf den Taxistand zu. Wenn es nicht zu einem Streit kam, sagte sie laut. Sie erschrak. Eine ältere Dame in einem roten Mantel und mit reichlich Plastiktüten bepackt, lächelte Ihr aufmunternd zu. Sie lächelte zurück.  Sie hob den Kopf und schaute zum Himmel. Trübe, graue Wolken trieben lustlos über die Stadtflucht vor dem Gebäude. Ein Flugzeug war noch lauter als der Lärm der vorbeiquietschenden Straßenbahn. Sie senkte den Blick und zog ihre Lederhandschuhe an. Der Taxifahrer fragte Sie nach dem Wohin. Nach Hause. Sagte sie. Wo ist das? Fragte er. Sie schwieg.

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