Freitag, 21. Dezember 2012

Gotye. Penis. Tony.


Ich erinnere mich noch an mein "erstes Mal". Es lies mich aufhorchen und ich war erstaunt, dass es so viele Jahre an mir vorbeigehen konnte. Ich warf Shazam an. Und dort kam als Ergebnis ein seltsamer Name: Gotye. Klang beneluxisch, ist es auch. Ich war erstaunt, dachte ich tatsächlich, mir sei irgendein alter Gabriel-Song durchgerutscht. Aber es war damals brandaktuell. Ich freute mich, öffnete später Youtube, mochte das simple Video, mochte die Stimme, mochte den Typen, die Mimik, die wenigen Bewegungen, mochte das Gefühl, dass das Lied mit mir machte und kaufte "Somebody that I used to know". Und hörte es und hörte es und hörte es. (Da ich relativ selten Musiksender im Radio höre, ging das Auf- und Ab-Gespiele an mir vorbei.) http://www.youtube.com/watch?v=qqr7cEB2bj0   

Einige Wochen später kam meine Tochter angerannt. „Mamamamamama, Du musst Dir unbedingt was anschauen. Du lachst Dich tot.“ Und wie ich lachte.  Es ging um eine Parodie auf Gotyes Song. Wir schauten gemeinsam, uns liefen gemeinsam die Tränen. Die witzige Albernheit dieser Parodie erschließt sich vor allem dann, wenn man das Originalvideo mit der ganz eigentümlichen Gotye-Mimik kennt. Ich konnte nicht mehr vor Lachen. Umso schöner, als ich es neulich auf einem dieser "Kennste das?“-Abende vorspielen konnte und die Gastgeber ebenfalls herzlich lachen. Dafür schätze ich ja Youtube & Co.  Herrlich. http://www.youtube.com/watch?v=CCdBG16EzFo
 
Dass dies nur eine der unzähligen Cover- und Parodieversionen war, wissen wir. Dass wir nicht alle hören wollten, wie die des Karlsruher Max Giesinger zum Beispiel, wissen wir ebenso. Was aber unter all den Versionen am meisten herausstach, waren sicher „Walk off the Earth“. Zu fünft. An einer Gitarre. Ich musste schmunzeln, mochte die Idee, und sah dem Quintett gerne dabei zu, wie sie sich auf kleinstem Raum, ohne eine Miene zu verziehen der kleinen Hommage an das Lied hingaben. http://www.youtube.com/watch?v=MsoRSI7ei4E
 
Und dann kam besagter Abend (sie Abschnitte Mamamamamama). Man (Mann mit Frau. Beide: Danke!) zeigte mir die Parodie des Covers der "5 People 1 Guitar". Ich muss schon lachen, wenn ich nur daran denke. "Now and then we like to play one guitar together. And that's convenient since we only have the one". Ich mag eigentlich gar nicht viel dazu sagen. Einfach selbst hören. Aber wenn ich mal wieder ein Clinky Noise fallen lasse oder mit Herrn @heikokanzler nach Tony rufe - seien Sie nachsichtig. Wer weiß, wann Sie mal eine Vanfahrerin brauchen.  http://www.youtube.com/watch?v=IwPHy17Iu6E

P.S. Gotye hat als Antwort auf diesen unglaublichen Youtube-Cover- und Parodie-Hype ein eigenes Video geschnitten. Ich betrachte es als gelungenes Danke an seine Fans (auch wenn ihm einige Kommerzialisierung und Nutzungsrechtemißbrauch vorwerfen und außerdem noch Max Giesinger vorkommt. Aber das nur am Rande). http://www.heraldsun.com.au/entertainment/music/gotye-pulls-together-the-ultimate-somebody-i-used-to-know-youtube-tribute/story-e6frf9hf-1226449194797

Montag, 26. November 2012

Nun sitz ich hier und schreib nicht anders.


Ich habe mal eine Abfrage über mein Schreibverhalten gemacht. Das geht ganz gut via Suche und Hochrechnung. Demnach schreibe ich am Tag, beruflich, etwa 3.000 Wörter (nein, Schreiben ist leider nicht mein Beruf). Das macht bei 220 Arbeitstagen etwa 660.000 Wörter. Bei 40 Jahren Berufstätigkeit sind das sechsundzwanzigmillionenvierhunderttausend. Neue und erfundene Wörter mit eingerechnet.

Bringt mich nicht weiter, macht aber Spaß. 

Einmal abgesehen davon, gibt es ja sowieso viel zu viele schöne Wörter, die wir viel zu viel zu viel zu selten nutzen. Ich möchte deshalb Sie alle dazu auffordern: seien Sie öfter mal ein Schlawack und bringen Sie Ihr Umfeld in die Bredouille, indem Sie von Ihrem garstigen Galan erzählen. Oder berichten Sie Ihren Kindern vom Kaschmirkanzler, während Sie von ihnen wie die Ölgötzen angestarrt werden. Und noch mehr Spaß macht es, den dazwischenfunkenden Kollegen mit einem „Sie Düffeldoffel da!“ zum Schweigen zu bringen. Nennen Sie die Putzkraft ruhig mal eine "besonders Honette". Oder fordern Sie den Vorstand gelegentlich zu einem Subbotnik auf. 

Warum ich das aufschreibe? Ich drücke mich gerade vor dem Schreiben und kompensiere das durch Schreiben. Clever, nicht wahr? Irgendwie muss ich für heute ja meine 3.000 Wörter voll bekommen, soviel Ordnung muss sein, und wenn ich in meinen privaten Blog schreibe, um eine berufliche Schreibblockade aufzuheben, gilt das definitiv als berufliches Schreiben. 

Die restlichen 2.730 schaffe ich auch noch irgendwie.

Kaffee?

P.S. Ist es für Sie inkommod, wenn ich darum bitte, dass mir das einer der Leser in Äquatorumrundungen umrechnet? Ausgedruckt? Bei 10 Punkt Arial? Nur zur Fingerübung, falls jemand gerade unter einer Rechenhemmung leidet.

Dienstag, 2. Oktober 2012

Der Tod und der Humor.

Dirk Bach ist tot. Kurt Felix auch. Neil Armstrong. Antonio Tabucchi übrigens auch. Aber den kannten wenige. Deshalb hat auch niemand über ihn Witze gemacht. Also in der Öffentlichkeit. Da macht man das für gewöhnlich ja. Denn was wäre Humor, auch ein humoristischer oder ein grenzwertiger, ohne Publikum, das applaudierend bejaht oder kopfschüttelnd schaudert.
Und es stellt sich die entscheidende Frage – die gestern bereits Sekunden nach der Nachricht von Herrn Bachs Tod durch meine Timeline lief – darf man über einen Verstorbenen Witze machen und wenn ja, wann sind sie geschmacklos. Oder warum eigentlich nicht. In einem Spiegelnachruf las ich heute von einem Interview Bachs mit dem Blatt, dessen Namen ich nicht nennen darf (sicherlich übergibt sich sonst irgendwo ein kleines Essay). Er wurde dort gefragt, wann er denn platze. Und das wurde abgedruckt. So so. Geschmacklos? Ich weiß es nicht. Es ist nicht mein Humor. Ich weiß auch nicht, wie er es fand, werde mir heute nicht anmaßen zu sagen, er hätte gewollt, dass alle lachen. Oder er habe sich ja selbst nie ernst genommen. Was weiß denn ich? Ich kannte ihn nicht. Deshalb habe ich gestern Abend auch nicht nur auf ihn getrunken, sondern auf alle, die – ich zitiere mich selbst, Sie verzeihen diesen Ego-pas? – „Menschen, die uns zum Lachen und Nachdenken brachten & bringen.

So. Da wären wir also beim Lachen. Ist ja erst mal nichts Schlimmes. (Ein Fall für die Gelotologen?) Aber darf man denn über einen Toten geschmacklose Witze machen? Die Antwort liegt kurz und knapp hinter der Gedankengrenze: Ich glaube, ja. Aber nicht in der Öffentlichkeit. Denn was geschmacklos ist und was nicht, entscheidet nicht der Sagende, es entscheidet der Hörende oder Lesende. Da halten wir es ja alle mit Kant, nicht wahr? Ich erzähle Ihnen dazu etwas ganz Privates. Letztes Jahr verstarb mein leiblicher Vater. Ich war sehr, sehr, sehr traurig. Und nie ging es mir in all meiner Trauer besser, als ich mit meinen Geschwistern zum ersten Mal über ihn Witze gemacht und gelacht habe. Und wir haben viel gelacht. Alle. Unter Tränen. Mit Tränen. Und waren dankbar, dass wir lachen konnten. Und da unsere – für Außenstehende in diesem Moment sicherlich augenscheinliche - Geschmacklosigkeit unverstanden geblieben wäre, haben wir dies nur unter uns getan. Und uns so verbunden gefühlt. In der Vergangenheit, im Moment, in der Zukunft. Auch das ist eine Form des Miteinanders und Zugehörigkeitsgefühls. Wo man lacht, da lass Dich nieder, weiß ja schon der kluge Volksmund.  Aber nur, wenn Du den gleichen Humor teilst. Und niemanden verletzt. Und deshalb mein Danke an alle Menschen, die mich – ein jeder zu seiner Zeit und ein jeder mit seinem eigenen Humor und manchmal auch, wenn es über einen Verstorbenen geht – mich zum Lachen bringen.

Herzlichst.

Eure Elly

P.S. Antonio Tabucchi war übrigens ein italienischer Schriftsteller, der im Sommer verstarb. Ein Grenzgänger zwischen Italien und Portugal, wurde er genannt. Ich erspare uns den Wortwitz zu seinem Tod. Aber lesen Sie ruhig mal eines seiner Bücher. Schön, dass man auch so weiterleben kann … http://www.spiegel.de/kultur/literatur/erklaert-pereira-schriftsteller-antonio-tabucchi-ist-tot-a-823618.html

Freitag, 28. September 2012

Elternabend.

Elternabende sind - und ich denke, da spreche ich allen Eltern aus dem Herzen - außer denen natürlich, die mich jedes Mal aufs Neue in die Weißglut treiben, aber wahrscheinlich machen die das mit Absicht, damit ich nicht merke, was für eine furchtbare ungeweichspülkernseifengewienerte Mutter ich bin, die nicht mal in der Lage ist, ihren frisch geleasten SUV mit 1, 2, 3, 4, 5, 6 (klar nehmen wir die Nachbarskinder mit, ich habe doch schließlich Muffins für alle gebacken) Autodings, also, ich bin verwirrt. Was wolte ich schreiben? Ach ja. Elternabend. So begab ich mich aber zu der Zeit ... und twitterte ein bisschen. Das Resultat eines - nennen wir ihn euphemistisch desaströsen abends - direkt zum Nachlesen.  (Kleiner Tipp: von unten nach oben lesen. Aber das wissen Sie ja. Sie könne ja Einparken.)

Viel Spaß.

(Und da ich besser Auto fahren als Blog bearbeiten kann, die Tweets als *.jpg anbei.)

http://f.cl.ly/items/3R0i451E2W1u0X0k3E2Q/Elly560.jpg



Donnerstag, 27. September 2012

Schal.

Und dann war sie auf einmal ganz traurig. Die Bahn fuhr ab,  verschwand schnellen Windzuges aus dem alten Jugendstilbahnhof, schlängelte sich windend über die Brücke, raus aus der Stadt. Ihr war kalt. Ein paar Meter weiter saß ein Obdachloser auf einer Bank, Gepäck um sich verstreut, selbstversunken in eine kleine, durchsichtige Flasche, eindeutig Alkohol. Ein kleiner Junge stand davor, Pudelmütze, Fellweste und winzig kleine Stiefelchen, die aussahen, als haben sie bereits einige Runden Bobbycar erfahren dürfen, betrachtete ihn und bohrte dabei mit einem Finger in der Nase. Seine Mutter zog ungeduldig an einer Zigarette.

Sie band den Schal etwas enger und ging. Vorbei an den Zeitschriftenständern. Vorbei an den Imbissbuden. Vorbei an den Ankommenden, den Gehenden, den Wartenden, den Bleibenden. Vor dem Bahnhof blieb sie kurz stehen und atmete durch. Sie hatte noch eine halbe Stunde Zeit bis zu dem Treffen mit ihrer alten Arbeitskollegin. Als damals alle hektisch die Scherben des Börsencrashs zusammen zu flicken suchten,  suchte sie das Weite. Packte sich einen Rucksack, kaufte sich eine Ein-Weg-Fahrkarte auf irgendeinen Kontinenten – sie konnte sich nicht einmal mehr erinnern, wohin ihre Kollegin ging.  Südamerika? Südostasien? Südirgendwas – und verschwand damals.

Jetzt war die Verreiste plötzlich wieder da, und als sie hörte, dass sie in die Stadt kommen würde, freute sie sich auf ein Treffen. Sagte sie. Menschen, mit denen man vertraut war, vertraut man sein Leben lang, heißt es.  Wenn es nicht zu einem Streit kam, ergänzt sie in Gedanken.

Sie schritt zögerlich auf den Taxistand zu. Wenn es nicht zu einem Streit kam, sagte sie laut. Sie erschrak. Eine ältere Dame in einem roten Mantel und mit reichlich Plastiktüten bepackt, lächelte Ihr aufmunternd zu. Sie lächelte zurück.  Sie hob den Kopf und schaute zum Himmel. Trübe, graue Wolken trieben lustlos über die Stadtflucht vor dem Gebäude. Ein Flugzeug war noch lauter als der Lärm der vorbeiquietschenden Straßenbahn. Sie senkte den Blick und zog ihre Lederhandschuhe an. Der Taxifahrer fragte Sie nach dem Wohin. Nach Hause. Sagte sie. Wo ist das? Fragte er. Sie schwieg.

Mittwoch, 15. August 2012

Friedhelm statt Stahlhelm.

Früher war ich intolerant. Nicht, weil ich bösartig war, misanthropisch oder fies. Einfach, weil meine Welt nur Schwarz oder Weiß kannte. Wir erinnern uns. Es gab entweder Geha oder Pelikan. Benetton oder Diesel. Entweder Scout oder Lederranzen. Depeche Mode oder ACDC. AKW oder lila Latzhose. Startbahn West oder InterRail. Man stand immer auf der einen oder auf der anderen Seite, aber nie auf beiden. Verständnis für die anderen hatte man schon gar nicht. Wir diskutierten laut, ließen uns von unserer Seite aber nicht abbringen, immer die gleichen Formeln, Spontisprüche an der Tür, Spontisprüche auf dem Federmäppchen, Spontisprüche auf den Lippen. Wir wollten kaputt machen, was uns kaputt macht, warnten vor Big Brother (hätte mal jemand auf uns gehört) und fragten, „stell Dir vor es ist Krieg und niemand geht hin?“ und wussten selbst nicht die Antwort darauf. Wir wollten sie aber auch nicht kennen.

Irgendwann kam dann die Zeit der schönen Indifferenz, die Zeit der großen Toleranz. Wir lachten, wenn jemand unsere Anti-Faschismus-Demonstrationen "Licherketten" nannte, wir lächelten wohlwollend über Joschka Fischer, der plötzlich handgenähte Schuhe statt Turntreter trug und seinen Wohlstandsbauch grinsend vor sich her schob. Das Studentenleben gab uns plötzlich das Gefühl, dass irgendetwas das Leben ja auch mit uns machen würde. Wir würden Anwälte werden, Ärzte, Lehrer, Architekten. Wir ahnten, wir werden irgendwann nicht mehr auf Schienen liegen, weil wir uns nicht unsere Anzüge oder Kleider dreckig machen wollen würden (na ja, außer die, die vielleicht Lehrer werden wollten). Wir bezogen nicht mehr Stellung, weil wir mutmaßten, die Menschen, die heute um uns herum sind, begegnen uns vielleicht wieder und würden dann auf unserer Hochzeit vielleicht Fotos hervorkramen können, auf denen wir angekettet an einem Schlot mit Che Guevara T-Shirt nicht die beste Figur machen würden, während unser Schwiegervater (hier: irgendein Industriemagnat, der seinen Sohn immer vor uns gewarnt hat) seiner akkurat frisierten Industriemagnatengattin ins Ohr räusperte.

Wir durchlebten die vielleicht besten Zeiten unseres Lebens, weil wir indifferent sein durften. Natürlich, Plastiktüten pflasterten immer noch den Weg zur Hölle und wir verhüteten mit Kondomen und kauften unsere Kleidung auf dem Second Hand (vielleicht, weil wir uns mehr auch einfach nicht leisten konnten). Aber eigentlich war es uns egal.

Als ich noch im Studium Mama wurde, konnte ich mir diese Indifferenz plötzlich nicht mehr leisten. Ich brauchte Erfahrung. Leider kann man sich Erfahrung nicht einfach als Wissen aneignen. Auch wenn ich das damals noch dachte. Ich las also Bücher um Bücher, tausende von Seiten, von Autoren, die impfen toll fanden, von Ärzten, die impfen verfluchten, Langzeitstillbefürworter (Krankenschwestern), Stillgegner (Herr Hipp und Co), Seitenlage (Hebammen), Bauchlage (Omas und Uromas). Ich lies mich so überhäufen mit Meinungen anderer, dass ich plötzlich ganz alleine da stand und merkte, es gibt hier kein Schwarz oder Weiss. Es gibt auch keine Gleichgültigkeit. Ich musste plötzlich eine eigene sezierbare, vertretbare Meinung haben. 

Der erste, festangestellte Job. Ich weiß noch, als wir die Anfrage eines kerntechnischen Instituts bekamen, für sie einen Auftrag zu erledigen. Ich sollte die Projektleitung übernehmen. Ich habe mich geweigert. Meine Argumentationskette ging in etwa: "Atomkraft ist pfui, deshalb mache ich das nicht." (Wir erinnern uns: Atomkraft, nein danke.). Meine Chefs schauten mich ziemlich verwirrt an. Ich musste den Job nicht machen, sie machten mir aber ziemlich unmissverständlich klar, dass sie mich für ein klein wenig durchgeknallt hielten und dies die erste und letzte Eskapade sei. Ich meinerseits wusste, dass ich mich ziemlich unprofessionell verhalten hatte (finde aber immer noch, dass ich meine Sache ziemlich gut gemacht habe). Aber mir wurde klar, ich musste eine argumentativ vertretbare Meinung zu Atomstrom bekommen. Also las ich mich ein. Und das war ja nur eines der Sandkörner im Meer der Themen, über die ich nun eine Meinung haben wollte. Terrorismus, Molekularküche, Manolos, Walser, Reiterferien für Kinder. Dieser Berg in meinem Kopf machte es mir nicht immer leichter, ist aber oft ein guter Rettungsanker.

Und heute? Ich diskutiere für mein Leben gerne. Ich mag es, fundiertes Wissen zu meiner Meinung zu haben, genieße es neue Argumente durch Mitredner zu erhalten und manchmal, ganz manchmal liebe ich es, wie damals einfach nur intolerant zu sein. 

Und dann sage ich "Eure Meinung ist pfui, deshalb habe ich recht."

Montag, 13. August 2012

Schublade.


Wie funktioniert das eigentlich mit der Liebe? Stehen wir irgendwann morgens auf und stellen fest: so geht das? Gibt es irgendeine Betriebsanleitung, die wir schon als Mädchen mit unserer ersten Barbie mitgeliefert bekommen? Oder ist alles, alles, was wir an Gefühlen erleben immer nur eine Aneinanderreihung von Zufälligkeiten, sponaten Zufälligkeiten, die wir in sogfältig beschriftete Schubladen packen und manchmal machen wir eben eine Lade auf, in der steht Liebe. Und irgenwann öffnen wir die Schublade, nehmen die Liebe wieder heraus und packen sie in die Schublade "Aautsch" oder in die Schublade "Puuuh" und dann irgendwann in "Es war einmal?".

Ich habe vor etwa zwei Jahren einen Mann kennengelernt. Den ich mochte. Auf Anhieb. Weil er ruhig und sanft und freundlich war. Ein Mensch eben. Letzten Herbst begannen wir auszugehen. Konzerte, Oper, Fussball. Wir haben uns die Nächte um die Ohren geredet und um die Herzen gelacht. Wir haben geschwiegen. Wir haben genossen. An meinem Geburtstag hat er mich zum ersten Mal geküsst. Einen Monat später die erste Nacht. Kaffee ans Bett und Lächeln für den Tag. Filme. Immer wieder Filme. Jarmusch. Allen. Alte Western. Punkkonzerte, die wir beide so sehr lieben. Es war perfekt. Wir lernten uns kennen. Und kennen. Und kennen. Und kennen. Und kamen keinen Schritt weiter. "Ich möchte immer neben Dir aufwachen" sagte er einmal "ich habe mich so daran gewöhnt". Wie machten Pläne. Nein, nicht wir, letzten Endes machte ich sie. Und er sagte "O.k., können wir machen". Und plötzlich war er weg. Nicht räumlich. Einfach so. Erstes ignorieren, Trunkenheit mit Freunden. Nein, mit Kumpels. All das Feine an ihm war von einen Tag auf den anderen weg. Und ich habe gekämpft. Innerlich natürlich. Wir Frauen kämpfen ja immer innerlich. Sind wir mit 16 in unserem traurigen, weinenden Kummer noch süß, kommen wir ja irgenwann in die Schublade "peinlich". Wann passiert das eigentlich? Wann kommt die gute Fee und sagt: Hey, jetzt reiß Dich mal zusammen, Du bist zu alt für so etwas?

Vor ein paar Wochen bat ich ihn um ein Gespräch und fragte ihn, was mit uns passiert sei. Wo die Unbeschwertheit hin sei? Die Nähe? Er sagte, er sei nicht für dieses Beziehungsding geschaffen. Und er vermisse das Schöne, dass wir hatten. Und bat um einen Neuanfang. Seitdem? Ein Kinobesuch, unzählige nicht beantwortete Nachrichten. Tränen. Alkohol, noch mehr Tränen, Freundinnen, die zwischen Trost und Sarkasmus schwanken, weil sie mich in meinem Kummer nicht mehr ertragen haben. Unzählige Flirtversuche. Gescheiterte Flirtversuche. Noch mehr Tränen, noch mehr Alkohol. Geflucht. Geschimpft. Geweint.

Am Samstag: eine Party bei einem gemeinsamen Bekannten. Mit vielen gemeinsamen Bekannten. Und Freunden. Ich hatte einen wunderschönen Abend. Mit meinen Freunden. Zum ersten Mal seit langem ist mir aufgefallen, wie viel ich in den letzten Monaten verlebt habe, weil ich diese verdammte Schublade nicht aufbekommen habe. Weil sie geklemmt hat. Oder ich kraftlos war. Oder weil wir uns vielleicht alle davor fürchten, diese Schublade namens Liebe zu öffnen und etwas heraus zu holen und woanders hinein zu tun. Aber eben nicht mehr in die Liebe-Schublade.

Meine wunderbare Freundin S. ist frisch verliebt. Ich kann mich nicht sattsehen an diesem Anblick. An ihrem Lächeln. An ihrem Strahlen. An diesem "so muss es sein". Und habe gemerkt, meine Schublade klemmt gar nicht. Meine Hand hat nur diesen endlos langen Umweg über mein Herz gemacht.

Ich habe ihn vor drei Stunden zufällig getroffen. Er hat mich angelächelt. Mit seinem Große-Jungen-Lächeln. Er war für mich wieder der Mann, den ich vor zwei Jahren getroffen habe. Ich habe zurück gelächelt.

Die neue Schublade? Sie heißt: "Schön war's. Danke ..."

Freitag, 3. August 2012

Kanalvoll.

Skypenachricht von Lilith: Heute Abend Mädelsabend?
Skypnachricht ich an Lilith: Klar, ich frag mal rum. Fragst Du noch Sandra und Sia?
Skypenachricht von Lilith: Mach ich.
Lilith hat einen Gruppenchat bei Skype eröffnet. Mitglieder: Elly, Sandra, Sia, Lilith: Hey Mädels, heute Abend treffen?
Skypenachricht im Gruppenchat von Lilith: Ach Mist, Sandra ist ja heute bei Kunden. Ich schicke ihr ne SMS.
WhatsApp-Nachricht an Klara. Ich: Heute Abend Mädelsabend?
WhatsApp -Nachricht von Klara: Au ja. Waswannwo.
WhatsApp-Nachricht an Klara. Ich: Weiss noch nicht. Melde mich.
SMS-Nachricht an Mara. Ich: Heute Abend Mädelsabend? Lilith und Klara sind bis jetzt dabei.
Skypenachricht im Gruppenchat von Lilith: Sia hat gerade angerufen, ist heute hier im Büro, sie meldet sich später, sie muss noch wegen ihrem Handy zur Telekom.
WhatsApp-Nachricht von Klara: Soll ich noch Juli fragen? Ich seh sie nachher?
WhatsApp-Nachricht an Klara. Ich: Unbedingt.
Facebook-Nachricht von Mara: Auf jeden. Kannst Du mir unbedingt deine schwarzen Rosen-High-Heels mitbringen, würde die gerne am Samstag Abend anziehen?
XING-Nachricht von Sia: Bin Lilith eben auf dem Flur begegnet. Bin dabei. Wann und wo?
dabei.
Skypenachricht im Gruppenchat von Lilith: Bin eben Sia begegnet. Wo wollen wir uns treffen?
Direktnachricht in Twitter von Sandra: Hey Elly, bin noch in Stuttgart, sehen wir uns heute Abend?
SMS-Nachricht von Juli: Sorry, kann erst später, wann geht's denn los?
Facebook-Nachricht an Mara. Ich: Aber ja doch. Wie wäre es um Acht im Silver?
Skypenachricht im Gruppenchat an Lilith. Ich: Um Acht im Silver?
Xing-Nachricht an Sia. Ich: Um Acht im Silver?
SMS-Nachricht an Juli. Ich: Um Acht im Silver.
Direktnachricht in Twitter an Sandra. Ich: Mädelsabend. Um Acht im Silver.
SMS-Nachricht von Mara: Feierabend. Silver passt prima. Vorher noch einen Aperitif?
WhatsApp-Nachricht an Klara. Ich: Um Acht im Silver.
WhatsApp-Nachricht von Klara: Super. Hat sich Andi schon gemeldet?
WhatsApp-Nachricht an Klara. Ich: Nein, kommt sie mit?
WhatsApp-Nachricht von Klara: Ja, ich sag Ihr nochmal, dass sie sich bei Dir meldet, wo wir uns treffen.
WhatsApp-Nachricht an Klara. Ich: Das weißt Du doch :-) SMS-Nachricht an Mara: Muss noch Zahlen fertig machen, ich schaffe es erst auf Acht.
Skypenachricht im Gruppenchat von Lilith: Passt. Bis später.
Facebook-Nachricht von Andi: Sorry, habe Deine Nummer nicht, Klara sagte, ich soll mich melden, wann und wo heute.
SMS-Nachricht von Juli: Freu mich, bis nachher.
Direktnachricht in Twitter von Sandra: Tolle Idee. Kommt Lilith auch?
Xing-Nachricht von Sia: Acht schaffe ich nicht, ich melde mich dann, wo Ihr seid.
Facebook-Nachricht an Andi. Ich: Geb ich Dir nachher. Um Acht im Silver. Bis später.
E-Mail-Nachricht von Chef: Hallo Elly. Es tut mir leid, wir müssen heute Abend die Zahlen für morgen vorbereiten. Zwanzig  Uhr im Konferenzraum?

Donnerstag, 5. Juli 2012

Ein paar offene Worte.


Gestern ist etwas sehr Seltsames passiert. Ich bin es gewohnt, bei Twitter auch mal beschimpft zu werden, als Schlampe oder auch das F-Wort, Kapitalistenkuh war auch mal dabei - das macht mir relativ wenig aus. Ich finde zwar, dass dies nicht Bestandteil einer guten und respektvollen Kommunikation sein sollte, aber es soll ja auch Menschen geben, die Cola in ihr Bier kippen. Leben, leben lassen.

Gestern hat ein Mensch andere nicht Leben lassen. Fünf Tote. In Karlsruhe. Meine Tochter im Sperrgebiet, im Klassenzimmer verschanzt, keiner wusste, was los ist. Ich hatte keine Angst um sie, aber ich hatte Sorge. Die ganze Stadt hielt den Atem an. Dann ging der Zähler nach oben. Ein Toter, ein zweiter, ein dritter, ein vierter. Und plötzlich noch eine tote Frau. Der vermutliche Täter hat sich offenbar selbst getötet und zuvor unschuldige Menschen, die ihren - sicherlich nicht leichten - Job machen wollten, getötet. Der Schlosser, der am selben Tag noch Vater werden sollte, wie mir ein Bekannter gestern Abend noch erzählte. Seine Frau liegt auf der Entbindungsstation. Wurde dieses Kind am Tag geboren, an dem sein Vater kaltblütig ermordet wurde? In mir stiegen Wut und Übelkeit hoch.

In Wiesloch, nicht weit von Karlsruhe entfernt, wurde zur gleichen Zeit ein Mann von einem Polizisten erschossen, nachdem er Frauen angegriffen hatte und bewaffnet auf die Polizei losging.

Der kleine Sebastian auf Amrum gefunden. Tot. Beim Spielen.

Ich war erschüttert. Traurig. Nachdenklich. Ja, täglich sterben mehr Menschen durch Krankheit, durch Hunger, durch Krieg. Ich weiß es. Meine Aufmerksamkeit für die Tragik des Tages war sicherlich auch mediengesteuert, wenn man meine Tochter mal außen vorlässt. Die Dramaturgie der einzelnen Geschichten, der kleinen Lebens- oder leider treffender Todesepisoden, die gestern an vielen verschiedenen Orten in Deutschland stattfanden, hat mich aus der Bahn geworfen. Eigentlich sollte es ein schöner Tag werden, ich hatte eine Verabredung, auf die ich mich schon lange gefreut hatte, es war ein toller, warmer Tag, ich habe bald Urlaub, alles läuft gut. Dass mir abends nicht mehr nach Freude und "Juchee" zu Mute war, kann sicher der ein oder andere nachvollziehen.

Was ist dann passiert? 

Auf einen meiner Kommentare zur gestrigen Geiselnahme schrieb @MicPliester:
"@ellyteration Menschen zu morden hat viele Gesichter: die Justiz kennt sie alle. Ich zolle dem Mann Respekt.

Man muss sich diesen Satz mal genauer anschauen. "Ich zolle dem Mann Respekt." Nein, man muss sich den Satz nicht näher anschauen. Er steht für sich. Und auch jetzt wieder, wenn ich ihn schreibe, kommt mir das kalte Würgen. Obwohl ich ja eher nicht zu solchen Reaktionen neige. Was habe ich getan? Ich habe meine Follower darauf aufmerksam gemacht und sie gebeten, nein "aufgerufen", ihn zu blocken, damit er seinen menschenverachtenden Unfug nicht noch weiter verbreiten kann. Ja, das habe ich getan. Mir wurde daraufhin aus der Twitterergruppe (ich vermeide mal das Wort Gemeinschaft, aber nur für den Moment) vorgeworfen, ich würde meine "Machtposition" (?, was ist das?) auf Twitter ausnutzen, um gegen einzelne Menschen zu HETZEN. Meine Gefühle sind dann dezent übergeschäumt, ich habe geschwankt zwischen Wut und Weinen, zwischen Erstarren und Entsetzen.

Dazu kam - wichtiger kleiner Nebenstrang - dass ich eine zweigeteilte Antwort, deren erster Teil eine Mention mit @ellyteration und der zweite Teil eine Mention ohne @ellyteration falsch verstand. Der erste Tweet endete mit "Die". Ich verstand es - im Überschwang des Momentes als an mich gerichteten Imperativ. Ich habe erst mal nur auf mein Display gestarrt und war völlig baff. Und warf dem Schreibenden vor, dass er mir den Tod wünscht. Ich möchte mich dafür in aller Form entschuldigen, ich habe den zweiten Tweet nicht gesehen, deshalb nicht erkannt, dass "Die" der einleitende Artikel für einen neuen Satz war. Es tut mir leid, @Hoerns. Wirklich! Danke an @EinerVonAllen für den Hinweis!

Was mir nicht leid tut, ist, dass ich dazu "aufgerufen" habe, den menschenverachtenden Unfug, der vorher geschrieben wurde, zu unterbinden. Es mag für manche sein, ich habe überreagiert. Aber das mache ich lieber einmal zu oft, als im entscheidenden Moment einmal zu wenig. Wer einem Täter Respekt zollt, der andere Menschen hingerichtet hat, wer schreibt, dass er Kinderpornographie gut findet, wer applaudiert, wenn ein Asylantenheim brennt, wer dazu aufruft, Menschen zu verachten, weil Sie anders sind, wer Menschen wehtut, Grenzen überschreitet, wer verletzt, weil er ignorant und egoistisch unmenschlich ist, der darf seine Meinung nicht verbreiten. Meinungsfreiheit hat dort seine Grenzen, wo sie gegen die Menschlichkeit verstößt. Vielleicht täten wir gut daran, öfter mal solche Aussagen im Keim zu ersticken. Wir wissen, wohin unkommentierte, geduldete Propaganda führen kann. Und das meine ich nicht mal im großen, geschichtlichen Kontext. Nehmt die alltägliche Schikane an Menschen, nehmt Pöbeleien, nehmt Mobbing. Es war für mich keine Hetze, die ich betrieben habe. Es war ein Aufruf dazu, gemeinschaftlich Unmenschlichkeit im Keim zu ersticken. 

So einfach ist das für mich ...



 

Mittwoch, 6. Juni 2012

Wellenworte.


Das Meer ist heute voller Segelboote. Mit ihren spitzweißen Flügeln zerstechen Sie den tiefhängenden Horizont. Wenn ich die Augen zusammenkneife, sehen sie aus wie eine Flotte Haie, deren Rückenflossen weit aus dem Wasser stehen. Ich trete einen Schritt ins Meer, lächle und schwimme als Robbe verkleidet auf sie zu.

Giacomo ist ein typischer Italiener. Ein Bilderbuch-Giacomo. Klein, ein wenig stämmig, braungebrannt und mit blauer Badehose (mit Bein) und goldener Halskette (globgliedrig), schlendert er den ganzen Nachmittag schon am Strand auf und ab, in typischer Bewegung, leicht schleichend, aber immer mit ein wenig eingezogenem Bauch und herausgestellter Brust. Der Seewind zerrt an seinen schwarzen Locken, seine ebenso schwarzen Augen sind ständig auf der Suche nach bekannten Gesichtern, nach neuen Gesichtern. Als am frühen Abend die Sonne den Weg Richtung Felsen sucht, strahlt plötzlich sein sonst nur freundliches Gesicht. Drei entzückende kleine Kinder, mit ebenso schwarzen Locken und ebenso schwarzen Augen laufen mit lauten ,Bappa, Bappa, Bappa"-Rufen auf ihn zu. Dahinter kommt eine dieser unglaublich schönen Frauen gelaufen. Eine dieser Ornella Mutis dieser Welt, die man nur neidlos anschauen und bewundern kann für all das, was sie an Frau verkörpert. Ornella tritt auf Giacomo, der seine drei Orgelpfeifen lachend umarmt und kreisend über den Strand dreht zu, sie küssen sich lange, liebevoll, zärtlich. Ich schaue weg, hinaus aufs Meer und muss lächeln.

Die Deutschen sind da. Die ersten Tage war es still hier, lediglich italienische Kennzeichen, hier und da mal ein Schweizer, wenig Deutsche. An der Straßenpromenade hält ein Bus. Reutlingen. Eine Gruppe bunter, mit Trekkingsandalen und quadratisch praktischen Trekkinghosen uniformierter Touristen steigt aus. Die Männer still, die Arme auf dem Rücken verschränkt, ab und an eine Kamera. Die Frauen mit ebenso quadratisch praktischen Kurzhaarfrisuren erobern schnatternd den Strand. Laute Rufe mit den immer gleichen Worten, mit dem immer gleichen ,Schau mal, das ist ja wie in ... Mensch sag mal, Karl, wo war das noch, wo wir da waren, der Markus war doch noch ganz klein und wir hatten diese Autopanne.'-Geschichten. Eine der Frauen scheint die Anführerin zu sein. Sie schnattert am lautesten von allen, hat eine Art Tropenhut auf und erzählt, was man an so einem Ort am besten isst. ,Fisch. Und Pasta.' Ach. Auf diese Idee in einem Italienischen Fischerort zu kommen ist gerade zu genial. danke, Frau Deutsche. Die Damen bücken sich fleissig nach Kieselsteinen, die mit einem lauten ,Aaahhhh' und ,Oooh' in die Hände genommen und betrachtet werden, gegenseitig zeigen sie sich ihre Funde, als seien es verborgene Piratenschätze, die sie gerade gehoben haben. Wie gut, dass es in Reutlingen keine Steine gibt. Die Laute trommelt zum Aufbruch. Sie trommelt. Die Lautstärke hat ihren Höhepunkt erreicht. Schnaufend kriecht die Gruppe den Anhang hinauf. Es wird leiser. Der Bus fährt weiter. Wir atmen durch.

Er sagt, er heißt Luigi. Luigi ist einer, der mich an die italienischen Badeorte der Sechziger Jahre erinnert. Mein Vater hat mir früher die Fotos gezeigt. Er ist etwa 50 Jahre alt, durchtrainiert, sein sonnengebleichtes Haar wird ein wenig licht. Wie Giacomo gehört Luigi zu diesem Dorf, er wohnt nur 20 Meter vom Strand weg, sagt er. Er spricht mit jedem, lacht mit jedem, wo wir herkommen will er wissen und freut sich, dass wir Deutsche sind, so wie sich alle hier freuen, und so, wie wir Deutschen stets vom Wunsch beseelt sind, englisch zu sprechen, wenn sich uns nur die Gelegenheit bietet, so erhellt sich jedes Gesicht hier, wenn wir uns mit unserem gebrochenen italienisch uns als Deutsche zu erkennen geben und auch Luigi will, wie alle anderen, ein wenig deutsch sprechen, die Orte aufzählen, die er kennt.
 Eine ältere Gemüsehändlerin fragt mich nach dem ich bei ihr eingekauft habe: „Sei tedesca?“, was ich bejahe. Sie strahlt und sagt mir, dass wir Deutschen alle nach Italien in den Urlaub kommen, aber sie nach Deutschland fahre, jedes Jahr, wenn das Geld reicht, weil dieses Land so multo schön sei. Heidelberg und München und Köln zählt sie auf, Hamburg und Dresden und Essen. ,Essen?' frage ich nach. ,Si, Essen.' bestätigt sie. Ihr Vater habe dort mal gearbeitet. In einer Fabrik. Das sei aber lange her. Sie lächelt. Als ich ihr sage, dass wir aus Karlsruhe kommen, sagt sie, das kenne sie, da stehe eine Pyramide mitten in der Stadt, sie habe das sehr lustig gefunden. Und lacht ihr rauhes italienisches, warmes, weiches Lachen. Ich lache mit, ja, die Pyramide finde ich auch sehr lustig. Wie das auf einen Touristen aus einem fremden Land wirken muss, darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht.

Luigi fährt auch bald nach Deutschland. Nach Berlin. Zu einer Konferenz. Welche Konferenz, fragen wir typisch deutsch. Er schwimme jeden Tag gibt er als Antwort, mehrere Kilometer, kurze Strecken, lange Strecken, von Korsika nach Elba, von Elba aufs Festland, von Elba auf andere der Archipelinseln, um Elba herum, manchmal alleine, manchmal mit einem Freund, manchmal fahre ein Schiff von Greenpeace mit oder Reporter oder auch mal ein Filmteam, selbst im Winter, selbst in der größten Kälte, selbst, wenn längst alle fort sind. Er sei ein Botschafter des Meeres. „Wie lang war denn die größte Distanz?“ frage ich. „Distanz?“ Er schaut mich erstaunt an. „Non no, Du verstehst nikt. No record. No competition. It is all about se sea and all about se energy. I can feel se energy and se power of se sea. And so I can tell all se people about se nature.Ich schweige verlegen. Hatte ich ihn für einen alternden Gigolo gehalten, dabei ist er einer, der Gutes tun will, der tut, nicht redet. Luigi blüht auf und redet und erzählt. Er berichtet mit strahlenden Augen, dass er letzten Winter sogar im Schnee geschwommen sei, plötzlich seien all die Flocken um ihn herum gewesen und es sei noch viel stiller gewesen als sonst. Oder einmal, da seien sie in einen Schwarm Quallen geraten und völlig verstochen worden. Aber das habe ihm nichts gemacht, so lange man im Wasser bleibt, merke man das ohnehin nicht. Dann springt er plötzlich mitten im Satz auf, geschmeidig wie ein junger Geräteturner und verschwindet nach Hause. So schnell wie er verschwand ist er wieder da. Und drückt uns die Webadresse seiner Seite in die Hand. Zusammen mit einer Kopie der Veranstaltung in Berlin. Er lädt uns ein, ihn doch in Berlin auf einen Kaffee zu treffen. Als wir ihm sagen, dass es fast 700 Kilometer von Karlsruhe nach Berlin seien, schaut er uns einen Moment lang beinahe mitleidig an, legt den Kopf zu Seite und sagt, dass man schnell vergesse, wie groß Deutschland ja sei, weil wir ja kein Meer hätten. Ich schaue ihn an, blicke aufs Wasser und sage: „Ja, manchmal fehlt die Unendlichkeit.“

Wie große Stahlfische stehen die Fähren am Pier. Sie warten geduldig und rostig heiser auf die langen Schlangen der Urlauber, die bleich und ein wenig müde auf die Überfahrt warten. Elba, Korsika, Sardinien. Der große, blaue Wal, das Erkennungszeichen der Moby Schifffahrtslinie und die bunten Mordillozeichnungen wollen den kurzen Weg über das Meer fröhlich einstimmen. Wir sind zwei Stunden zu früh am Pier, stellen uns geduldig in die Schlange der Wartenden ein. Hier ist alles preußisch durchorganisiert, keiner der Deutschen - und es sind vornehmlich deutsche Urlauber zu dieser frühen Zeit - verlässt sein Auto, aus Angst, den Startschuss zu verpassen. Wir schließen ab, verlassen das Pier und gehen erst mal ganz südeuropäisch gelassen einen Kaffee trinken. Als wir zurückkommen, beginnen die orangeleuchtenden Uniformierten, die ersten Reihen in den Weißen Wal zu winken. Wir haben Glück und dürfen diese frühere Fähre nehmen, noch hat die Saison nicht begonnen und das Schiff namens ,Love' öffnet uns geduldig seine Rampe. Wir verschwinden im Inneren, wo bereits der nächste Caffé auf uns wartet. Elba ist da.

Man setzt die Schere am Darmausgang an und schneidet den Fisch vorsichtig am Bauch entlang in Richtung Kopf auf. Dann öffnet man ihn, indem man die Bauchlappen auseinanderzieht, oben und unten die Innereien mit einem Messer vom Körper trennt und herausnimmt. Verletzt man dabei die Galle, sofort mit reichlich Wasser nachspülen, sonst wird’s bitter. Die Auswahl an Fischen ist groß. Wir kaufen Dorade. Leider haben wir die Öffnungszeiten der Geschäfte falsch eingeschätzt und so macht nach unserem Strandbesuch der Supermarkt im 15 Kilometer entfernten Marina die Campo um halb zwei für 3 Stunden zu. Wir sind fünf nach halb da. Ich frage einen Verkäufer, ob wir noch schnell etwas kaufen dürfen. Er sagt, wir sollen uns Zeit lassen. Und kaufen Dorade. Leider möchte uns die Fischverkäuferin den Fisch nicht mehr küchenfertig zubereiten. So stehe ich also fünf stehen später und mit einem metallenen Topfkratzer, einer stumpfen Schere und einem stumpfen Messer bewaffnet an der Spüle. Wässer einlassen, Fische ins Wasser legen, am Schwanz packen und vom Schwanz zum Kopf abreiben und entschuppen. Das war einfach. Fische raus, Wasser raus, Wasser an. Jetzt das Tier öffnen. Die Innereien wölben sich mir wurstig entgegen. Das ging ja leichter als gelacht. Und weniger eklig als gedacht. Ich greife beherzt in die Bauchhöhle - und das Unvermeidliche passiert: die Galle platzt. Also spülen, spülen, spülen. Angesichts des knappen Wassers auf Elba schießt mir kurz die Röte ins Gesicht und ich murmle ein „Verzeihung“ für die Verschwendung. Fisch Nummer zwei. Schere rein, Innereien raus, Galle platzt. Wieder Röte in meinem Gesicht. Diesmal wegen meiner Trotteligkeit. Noch mehr Wasser. Die Fische sind fertig. Lilith füllt sie. Mit Rosmarin. Zitronen. Knoblauch. Olivenöl. Salz. Pfeffer. Das Feuer brennt. Der Fisch grillt vor sich hin. Ein Genuss. Der Duft der Insel, das Land und seine Farben, all das liegt eine halbe Stunde später auf unseren Tellern. Ich fülle mir noch schnell etwas davon in einen Flakon. Wer weiß, vielleicht werde ich es mir eines dunklen abends in Deutschland hinter meine Ohren tupfen.

„Maria ihm schmeckt’s“ nicht las ich mit stillem Vergnügen. Da ich den Film noch nicht kannte, setzten wir uns am ersten, müden Abend auf unsere Terrasse, schürzten das iPad und sahen diese süßmelancholische Komödie über den holprigen Hochzeits-Weg eines Deutschen und einer Halbitalienerin in einem Dörfchen in Süditalien, deren Aufgebot durch eine Aneinanderreihung von „Domani!“ (also „Morgen“), „Domani Domani!“ „Vier „Domani“ später!“ dezent verzögert wird. Ich habe Tränen gelacht über diese leicht überzogene, immer aber irgendwie echt und wirklich wirkende Darstellung. Am nächsten Morgen wartete ich auf den Fischhändler, der um zehn Uhr sein Lager auf dem Kirchplatz aufschlagen soll. Um viertel nach zehn fragte ich eine Einheimische, ob denn der Fischhändler heute noch komme. Sie lacht mich an: „Domani!“ und zuckt die Schultern. Ich verschlucke mich fast an meinem Lachen. Sie wirft mir noch ein mittlachendes „Glück, Glück“ entgegen. Ich schaue ihr in die Augen und nicke. Ja, es ist ein Glück, hier zu sein. Und ich freue mich auf das nächste Mal.

A domani, Italia.