Mittwoch, 15. August 2012

Friedhelm statt Stahlhelm.

Früher war ich intolerant. Nicht, weil ich bösartig war, misanthropisch oder fies. Einfach, weil meine Welt nur Schwarz oder Weiß kannte. Wir erinnern uns. Es gab entweder Geha oder Pelikan. Benetton oder Diesel. Entweder Scout oder Lederranzen. Depeche Mode oder ACDC. AKW oder lila Latzhose. Startbahn West oder InterRail. Man stand immer auf der einen oder auf der anderen Seite, aber nie auf beiden. Verständnis für die anderen hatte man schon gar nicht. Wir diskutierten laut, ließen uns von unserer Seite aber nicht abbringen, immer die gleichen Formeln, Spontisprüche an der Tür, Spontisprüche auf dem Federmäppchen, Spontisprüche auf den Lippen. Wir wollten kaputt machen, was uns kaputt macht, warnten vor Big Brother (hätte mal jemand auf uns gehört) und fragten, „stell Dir vor es ist Krieg und niemand geht hin?“ und wussten selbst nicht die Antwort darauf. Wir wollten sie aber auch nicht kennen.

Irgendwann kam dann die Zeit der schönen Indifferenz, die Zeit der großen Toleranz. Wir lachten, wenn jemand unsere Anti-Faschismus-Demonstrationen "Licherketten" nannte, wir lächelten wohlwollend über Joschka Fischer, der plötzlich handgenähte Schuhe statt Turntreter trug und seinen Wohlstandsbauch grinsend vor sich her schob. Das Studentenleben gab uns plötzlich das Gefühl, dass irgendetwas das Leben ja auch mit uns machen würde. Wir würden Anwälte werden, Ärzte, Lehrer, Architekten. Wir ahnten, wir werden irgendwann nicht mehr auf Schienen liegen, weil wir uns nicht unsere Anzüge oder Kleider dreckig machen wollen würden (na ja, außer die, die vielleicht Lehrer werden wollten). Wir bezogen nicht mehr Stellung, weil wir mutmaßten, die Menschen, die heute um uns herum sind, begegnen uns vielleicht wieder und würden dann auf unserer Hochzeit vielleicht Fotos hervorkramen können, auf denen wir angekettet an einem Schlot mit Che Guevara T-Shirt nicht die beste Figur machen würden, während unser Schwiegervater (hier: irgendein Industriemagnat, der seinen Sohn immer vor uns gewarnt hat) seiner akkurat frisierten Industriemagnatengattin ins Ohr räusperte.

Wir durchlebten die vielleicht besten Zeiten unseres Lebens, weil wir indifferent sein durften. Natürlich, Plastiktüten pflasterten immer noch den Weg zur Hölle und wir verhüteten mit Kondomen und kauften unsere Kleidung auf dem Second Hand (vielleicht, weil wir uns mehr auch einfach nicht leisten konnten). Aber eigentlich war es uns egal.

Als ich noch im Studium Mama wurde, konnte ich mir diese Indifferenz plötzlich nicht mehr leisten. Ich brauchte Erfahrung. Leider kann man sich Erfahrung nicht einfach als Wissen aneignen. Auch wenn ich das damals noch dachte. Ich las also Bücher um Bücher, tausende von Seiten, von Autoren, die impfen toll fanden, von Ärzten, die impfen verfluchten, Langzeitstillbefürworter (Krankenschwestern), Stillgegner (Herr Hipp und Co), Seitenlage (Hebammen), Bauchlage (Omas und Uromas). Ich lies mich so überhäufen mit Meinungen anderer, dass ich plötzlich ganz alleine da stand und merkte, es gibt hier kein Schwarz oder Weiss. Es gibt auch keine Gleichgültigkeit. Ich musste plötzlich eine eigene sezierbare, vertretbare Meinung haben. 

Der erste, festangestellte Job. Ich weiß noch, als wir die Anfrage eines kerntechnischen Instituts bekamen, für sie einen Auftrag zu erledigen. Ich sollte die Projektleitung übernehmen. Ich habe mich geweigert. Meine Argumentationskette ging in etwa: "Atomkraft ist pfui, deshalb mache ich das nicht." (Wir erinnern uns: Atomkraft, nein danke.). Meine Chefs schauten mich ziemlich verwirrt an. Ich musste den Job nicht machen, sie machten mir aber ziemlich unmissverständlich klar, dass sie mich für ein klein wenig durchgeknallt hielten und dies die erste und letzte Eskapade sei. Ich meinerseits wusste, dass ich mich ziemlich unprofessionell verhalten hatte (finde aber immer noch, dass ich meine Sache ziemlich gut gemacht habe). Aber mir wurde klar, ich musste eine argumentativ vertretbare Meinung zu Atomstrom bekommen. Also las ich mich ein. Und das war ja nur eines der Sandkörner im Meer der Themen, über die ich nun eine Meinung haben wollte. Terrorismus, Molekularküche, Manolos, Walser, Reiterferien für Kinder. Dieser Berg in meinem Kopf machte es mir nicht immer leichter, ist aber oft ein guter Rettungsanker.

Und heute? Ich diskutiere für mein Leben gerne. Ich mag es, fundiertes Wissen zu meiner Meinung zu haben, genieße es neue Argumente durch Mitredner zu erhalten und manchmal, ganz manchmal liebe ich es, wie damals einfach nur intolerant zu sein. 

Und dann sage ich "Eure Meinung ist pfui, deshalb habe ich recht."

Montag, 13. August 2012

Schublade.


Wie funktioniert das eigentlich mit der Liebe? Stehen wir irgendwann morgens auf und stellen fest: so geht das? Gibt es irgendeine Betriebsanleitung, die wir schon als Mädchen mit unserer ersten Barbie mitgeliefert bekommen? Oder ist alles, alles, was wir an Gefühlen erleben immer nur eine Aneinanderreihung von Zufälligkeiten, sponaten Zufälligkeiten, die wir in sogfältig beschriftete Schubladen packen und manchmal machen wir eben eine Lade auf, in der steht Liebe. Und irgenwann öffnen wir die Schublade, nehmen die Liebe wieder heraus und packen sie in die Schublade "Aautsch" oder in die Schublade "Puuuh" und dann irgendwann in "Es war einmal?".

Ich habe vor etwa zwei Jahren einen Mann kennengelernt. Den ich mochte. Auf Anhieb. Weil er ruhig und sanft und freundlich war. Ein Mensch eben. Letzten Herbst begannen wir auszugehen. Konzerte, Oper, Fussball. Wir haben uns die Nächte um die Ohren geredet und um die Herzen gelacht. Wir haben geschwiegen. Wir haben genossen. An meinem Geburtstag hat er mich zum ersten Mal geküsst. Einen Monat später die erste Nacht. Kaffee ans Bett und Lächeln für den Tag. Filme. Immer wieder Filme. Jarmusch. Allen. Alte Western. Punkkonzerte, die wir beide so sehr lieben. Es war perfekt. Wir lernten uns kennen. Und kennen. Und kennen. Und kennen. Und kamen keinen Schritt weiter. "Ich möchte immer neben Dir aufwachen" sagte er einmal "ich habe mich so daran gewöhnt". Wie machten Pläne. Nein, nicht wir, letzten Endes machte ich sie. Und er sagte "O.k., können wir machen". Und plötzlich war er weg. Nicht räumlich. Einfach so. Erstes ignorieren, Trunkenheit mit Freunden. Nein, mit Kumpels. All das Feine an ihm war von einen Tag auf den anderen weg. Und ich habe gekämpft. Innerlich natürlich. Wir Frauen kämpfen ja immer innerlich. Sind wir mit 16 in unserem traurigen, weinenden Kummer noch süß, kommen wir ja irgenwann in die Schublade "peinlich". Wann passiert das eigentlich? Wann kommt die gute Fee und sagt: Hey, jetzt reiß Dich mal zusammen, Du bist zu alt für so etwas?

Vor ein paar Wochen bat ich ihn um ein Gespräch und fragte ihn, was mit uns passiert sei. Wo die Unbeschwertheit hin sei? Die Nähe? Er sagte, er sei nicht für dieses Beziehungsding geschaffen. Und er vermisse das Schöne, dass wir hatten. Und bat um einen Neuanfang. Seitdem? Ein Kinobesuch, unzählige nicht beantwortete Nachrichten. Tränen. Alkohol, noch mehr Tränen, Freundinnen, die zwischen Trost und Sarkasmus schwanken, weil sie mich in meinem Kummer nicht mehr ertragen haben. Unzählige Flirtversuche. Gescheiterte Flirtversuche. Noch mehr Tränen, noch mehr Alkohol. Geflucht. Geschimpft. Geweint.

Am Samstag: eine Party bei einem gemeinsamen Bekannten. Mit vielen gemeinsamen Bekannten. Und Freunden. Ich hatte einen wunderschönen Abend. Mit meinen Freunden. Zum ersten Mal seit langem ist mir aufgefallen, wie viel ich in den letzten Monaten verlebt habe, weil ich diese verdammte Schublade nicht aufbekommen habe. Weil sie geklemmt hat. Oder ich kraftlos war. Oder weil wir uns vielleicht alle davor fürchten, diese Schublade namens Liebe zu öffnen und etwas heraus zu holen und woanders hinein zu tun. Aber eben nicht mehr in die Liebe-Schublade.

Meine wunderbare Freundin S. ist frisch verliebt. Ich kann mich nicht sattsehen an diesem Anblick. An ihrem Lächeln. An ihrem Strahlen. An diesem "so muss es sein". Und habe gemerkt, meine Schublade klemmt gar nicht. Meine Hand hat nur diesen endlos langen Umweg über mein Herz gemacht.

Ich habe ihn vor drei Stunden zufällig getroffen. Er hat mich angelächelt. Mit seinem Große-Jungen-Lächeln. Er war für mich wieder der Mann, den ich vor zwei Jahren getroffen habe. Ich habe zurück gelächelt.

Die neue Schublade? Sie heißt: "Schön war's. Danke ..."

Freitag, 3. August 2012

Kanalvoll.

Skypenachricht von Lilith: Heute Abend Mädelsabend?
Skypnachricht ich an Lilith: Klar, ich frag mal rum. Fragst Du noch Sandra und Sia?
Skypenachricht von Lilith: Mach ich.
Lilith hat einen Gruppenchat bei Skype eröffnet. Mitglieder: Elly, Sandra, Sia, Lilith: Hey Mädels, heute Abend treffen?
Skypenachricht im Gruppenchat von Lilith: Ach Mist, Sandra ist ja heute bei Kunden. Ich schicke ihr ne SMS.
WhatsApp-Nachricht an Klara. Ich: Heute Abend Mädelsabend?
WhatsApp -Nachricht von Klara: Au ja. Waswannwo.
WhatsApp-Nachricht an Klara. Ich: Weiss noch nicht. Melde mich.
SMS-Nachricht an Mara. Ich: Heute Abend Mädelsabend? Lilith und Klara sind bis jetzt dabei.
Skypenachricht im Gruppenchat von Lilith: Sia hat gerade angerufen, ist heute hier im Büro, sie meldet sich später, sie muss noch wegen ihrem Handy zur Telekom.
WhatsApp-Nachricht von Klara: Soll ich noch Juli fragen? Ich seh sie nachher?
WhatsApp-Nachricht an Klara. Ich: Unbedingt.
Facebook-Nachricht von Mara: Auf jeden. Kannst Du mir unbedingt deine schwarzen Rosen-High-Heels mitbringen, würde die gerne am Samstag Abend anziehen?
XING-Nachricht von Sia: Bin Lilith eben auf dem Flur begegnet. Bin dabei. Wann und wo?
dabei.
Skypenachricht im Gruppenchat von Lilith: Bin eben Sia begegnet. Wo wollen wir uns treffen?
Direktnachricht in Twitter von Sandra: Hey Elly, bin noch in Stuttgart, sehen wir uns heute Abend?
SMS-Nachricht von Juli: Sorry, kann erst später, wann geht's denn los?
Facebook-Nachricht an Mara. Ich: Aber ja doch. Wie wäre es um Acht im Silver?
Skypenachricht im Gruppenchat an Lilith. Ich: Um Acht im Silver?
Xing-Nachricht an Sia. Ich: Um Acht im Silver?
SMS-Nachricht an Juli. Ich: Um Acht im Silver.
Direktnachricht in Twitter an Sandra. Ich: Mädelsabend. Um Acht im Silver.
SMS-Nachricht von Mara: Feierabend. Silver passt prima. Vorher noch einen Aperitif?
WhatsApp-Nachricht an Klara. Ich: Um Acht im Silver.
WhatsApp-Nachricht von Klara: Super. Hat sich Andi schon gemeldet?
WhatsApp-Nachricht an Klara. Ich: Nein, kommt sie mit?
WhatsApp-Nachricht von Klara: Ja, ich sag Ihr nochmal, dass sie sich bei Dir meldet, wo wir uns treffen.
WhatsApp-Nachricht an Klara. Ich: Das weißt Du doch :-) SMS-Nachricht an Mara: Muss noch Zahlen fertig machen, ich schaffe es erst auf Acht.
Skypenachricht im Gruppenchat von Lilith: Passt. Bis später.
Facebook-Nachricht von Andi: Sorry, habe Deine Nummer nicht, Klara sagte, ich soll mich melden, wann und wo heute.
SMS-Nachricht von Juli: Freu mich, bis nachher.
Direktnachricht in Twitter von Sandra: Tolle Idee. Kommt Lilith auch?
Xing-Nachricht von Sia: Acht schaffe ich nicht, ich melde mich dann, wo Ihr seid.
Facebook-Nachricht an Andi. Ich: Geb ich Dir nachher. Um Acht im Silver. Bis später.
E-Mail-Nachricht von Chef: Hallo Elly. Es tut mir leid, wir müssen heute Abend die Zahlen für morgen vorbereiten. Zwanzig  Uhr im Konferenzraum?