Das Meer ist heute voller
Segelboote. Mit ihren spitzweißen Flügeln zerstechen Sie den tiefhängenden
Horizont. Wenn ich die Augen zusammenkneife, sehen sie aus wie eine Flotte
Haie, deren Rückenflossen weit aus dem Wasser stehen. Ich trete einen Schritt
ins Meer, lächle und schwimme als Robbe verkleidet auf sie zu.
Giacomo ist ein typischer
Italiener. Ein Bilderbuch-Giacomo. Klein, ein wenig stämmig, braungebrannt und
mit blauer Badehose (mit Bein) und goldener Halskette (globgliedrig),
schlendert er den ganzen Nachmittag schon am Strand auf und ab, in typischer
Bewegung, leicht schleichend, aber immer mit ein wenig eingezogenem Bauch und
herausgestellter Brust. Der Seewind zerrt an seinen schwarzen Locken, seine
ebenso schwarzen Augen sind ständig auf der Suche nach bekannten Gesichtern,
nach neuen Gesichtern. Als am frühen Abend die Sonne den Weg Richtung Felsen
sucht, strahlt plötzlich sein sonst nur freundliches Gesicht. Drei entzückende
kleine Kinder, mit ebenso schwarzen Locken und ebenso schwarzen Augen laufen
mit lauten ,Bappa, Bappa, Bappa"-Rufen auf ihn zu. Dahinter kommt eine
dieser unglaublich schönen Frauen gelaufen. Eine dieser Ornella Mutis dieser
Welt, die man nur neidlos anschauen und bewundern kann für all das, was sie an
Frau verkörpert. Ornella tritt auf Giacomo, der seine drei Orgelpfeifen lachend
umarmt und kreisend über den Strand dreht zu, sie küssen sich lange, liebevoll,
zärtlich. Ich schaue weg, hinaus aufs Meer und muss lächeln.
Die Deutschen sind da. Die
ersten Tage war es still hier, lediglich italienische Kennzeichen, hier und da
mal ein Schweizer, wenig Deutsche. An der Straßenpromenade hält ein Bus.
Reutlingen. Eine Gruppe bunter, mit Trekkingsandalen und quadratisch praktischen
Trekkinghosen uniformierter Touristen steigt aus. Die Männer still, die Arme
auf dem Rücken verschränkt, ab und an eine Kamera. Die Frauen mit ebenso
quadratisch praktischen Kurzhaarfrisuren erobern schnatternd den Strand. Laute
Rufe mit den immer gleichen Worten, mit dem immer gleichen ,Schau mal, das ist ja wie in ... Mensch sag
mal, Karl, wo war das noch, wo wir da waren, der Markus war doch noch ganz
klein und wir hatten diese Autopanne.'-Geschichten. Eine der Frauen scheint
die Anführerin zu sein. Sie schnattert am lautesten von allen, hat eine Art
Tropenhut auf und erzählt, was man an so einem Ort am besten isst. ,Fisch. Und
Pasta.' Ach. Auf diese Idee in einem Italienischen Fischerort zu kommen ist
gerade zu genial. danke, Frau Deutsche. Die Damen bücken sich fleissig nach
Kieselsteinen, die mit einem lauten ,Aaahhhh' und ,Oooh' in die Hände genommen
und betrachtet werden, gegenseitig zeigen sie sich ihre Funde, als seien es
verborgene Piratenschätze, die sie gerade gehoben haben. Wie gut, dass es in
Reutlingen keine Steine gibt. Die Laute trommelt zum Aufbruch. Sie trommelt.
Die Lautstärke hat ihren Höhepunkt erreicht. Schnaufend kriecht die Gruppe den
Anhang hinauf. Es wird leiser. Der Bus fährt weiter. Wir atmen durch.
Er sagt, er heißt Luigi.
Luigi ist einer, der mich an die italienischen Badeorte der Sechziger Jahre
erinnert. Mein Vater hat mir früher die Fotos gezeigt. Er ist etwa 50 Jahre
alt, durchtrainiert, sein sonnengebleichtes Haar wird ein wenig licht. Wie
Giacomo gehört Luigi zu diesem Dorf, er wohnt nur 20 Meter vom Strand weg, sagt
er. Er spricht mit jedem, lacht mit jedem, wo wir herkommen will er wissen und
freut sich, dass wir Deutsche sind, so wie sich alle hier freuen, und so, wie
wir Deutschen stets vom Wunsch beseelt sind, englisch zu sprechen, wenn sich
uns nur die Gelegenheit bietet, so erhellt sich jedes Gesicht hier, wenn wir
uns mit unserem gebrochenen italienisch uns als Deutsche zu erkennen geben und auch
Luigi will, wie alle anderen, ein wenig deutsch sprechen, die Orte aufzählen,
die er kennt.
Eine ältere Gemüsehändlerin fragt mich nach dem ich bei ihr eingekauft habe: „Sei tedesca?“, was ich bejahe. Sie strahlt und sagt mir, dass wir Deutschen alle nach Italien in den Urlaub kommen, aber sie nach Deutschland fahre, jedes Jahr, wenn das Geld reicht, weil dieses Land so multo schön sei. Heidelberg und München und Köln zählt sie auf, Hamburg und Dresden und Essen. ,Essen?' frage ich nach. ,Si, Essen.' bestätigt sie. Ihr Vater habe dort mal gearbeitet. In einer Fabrik. Das sei aber lange her. Sie lächelt. Als ich ihr sage, dass wir aus Karlsruhe kommen, sagt sie, das kenne sie, da stehe eine Pyramide mitten in der Stadt, sie habe das sehr lustig gefunden. Und lacht ihr rauhes italienisches, warmes, weiches Lachen. Ich lache mit, ja, die Pyramide finde ich auch sehr lustig. Wie das auf einen Touristen aus einem fremden Land wirken muss, darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht.
Eine ältere Gemüsehändlerin fragt mich nach dem ich bei ihr eingekauft habe: „Sei tedesca?“, was ich bejahe. Sie strahlt und sagt mir, dass wir Deutschen alle nach Italien in den Urlaub kommen, aber sie nach Deutschland fahre, jedes Jahr, wenn das Geld reicht, weil dieses Land so multo schön sei. Heidelberg und München und Köln zählt sie auf, Hamburg und Dresden und Essen. ,Essen?' frage ich nach. ,Si, Essen.' bestätigt sie. Ihr Vater habe dort mal gearbeitet. In einer Fabrik. Das sei aber lange her. Sie lächelt. Als ich ihr sage, dass wir aus Karlsruhe kommen, sagt sie, das kenne sie, da stehe eine Pyramide mitten in der Stadt, sie habe das sehr lustig gefunden. Und lacht ihr rauhes italienisches, warmes, weiches Lachen. Ich lache mit, ja, die Pyramide finde ich auch sehr lustig. Wie das auf einen Touristen aus einem fremden Land wirken muss, darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht.
Luigi fährt auch bald nach
Deutschland. Nach Berlin. Zu einer Konferenz. Welche Konferenz, fragen wir
typisch deutsch. Er schwimme jeden Tag gibt er als Antwort, mehrere Kilometer,
kurze Strecken, lange Strecken, von Korsika nach Elba, von Elba aufs Festland,
von Elba auf andere der Archipelinseln, um Elba herum, manchmal alleine,
manchmal mit einem Freund, manchmal fahre ein Schiff von Greenpeace mit oder Reporter
oder auch mal ein Filmteam, selbst im Winter, selbst in der größten Kälte,
selbst, wenn längst alle fort sind. Er sei ein Botschafter des Meeres. „Wie
lang war denn die größte Distanz?“ frage ich. „Distanz?“ Er schaut mich erstaunt
an. „Non no, Du verstehst nikt. No
record. No competition. It is all about se sea and all about se energy. I can
feel se energy and se power of se sea. And so I can tell all se people about se
nature.” Ich
schweige verlegen. Hatte ich ihn für einen alternden Gigolo gehalten, dabei ist
er einer, der Gutes tun will, der tut, nicht redet. Luigi blüht auf und redet
und erzählt. Er berichtet mit strahlenden Augen, dass er letzten Winter sogar
im Schnee geschwommen sei, plötzlich seien all die Flocken um ihn herum gewesen
und es sei noch viel stiller gewesen als sonst. Oder einmal, da seien sie in
einen Schwarm Quallen geraten und völlig verstochen worden. Aber das habe ihm
nichts gemacht, so lange man im Wasser bleibt, merke man das ohnehin nicht.
Dann springt er plötzlich mitten im Satz auf, geschmeidig wie ein junger
Geräteturner und verschwindet nach Hause. So schnell wie er verschwand ist er
wieder da. Und drückt uns die Webadresse seiner Seite in die Hand. Zusammen mit
einer Kopie der Veranstaltung in Berlin. Er lädt uns ein, ihn doch in Berlin
auf einen Kaffee zu treffen. Als wir ihm sagen, dass es fast 700 Kilometer von
Karlsruhe nach Berlin seien, schaut er uns einen Moment lang beinahe mitleidig
an, legt den Kopf zu Seite und sagt, dass man schnell vergesse, wie groß Deutschland
ja sei, weil wir ja kein Meer hätten. Ich schaue ihn an, blicke aufs Wasser und
sage: „Ja, manchmal fehlt die Unendlichkeit.“
Wie große Stahlfische stehen
die Fähren am Pier. Sie warten geduldig und rostig heiser auf die langen
Schlangen der Urlauber, die bleich und ein wenig müde auf die Überfahrt warten.
Elba, Korsika, Sardinien. Der große, blaue Wal, das Erkennungszeichen der Moby
Schifffahrtslinie und die bunten Mordillozeichnungen wollen den kurzen Weg über
das Meer fröhlich einstimmen. Wir sind zwei Stunden zu früh am Pier, stellen
uns geduldig in die Schlange der Wartenden ein. Hier ist alles preußisch
durchorganisiert, keiner der Deutschen - und es sind vornehmlich deutsche
Urlauber zu dieser frühen Zeit - verlässt sein Auto, aus Angst, den Startschuss
zu verpassen. Wir schließen ab, verlassen das Pier und gehen erst mal ganz
südeuropäisch gelassen einen Kaffee trinken. Als wir zurückkommen, beginnen die
orangeleuchtenden Uniformierten, die ersten Reihen in den Weißen Wal zu winken.
Wir haben Glück und dürfen diese frühere Fähre nehmen, noch hat die Saison
nicht begonnen und das Schiff namens ,Love' öffnet uns geduldig seine Rampe.
Wir verschwinden im Inneren, wo bereits der nächste Caffé auf uns wartet. Elba
ist da.
Man setzt die Schere am
Darmausgang an und schneidet den Fisch vorsichtig am Bauch entlang in Richtung
Kopf auf. Dann öffnet man ihn, indem man die Bauchlappen auseinanderzieht, oben
und unten die Innereien mit einem Messer vom Körper trennt und herausnimmt.
Verletzt man dabei die Galle, sofort mit reichlich Wasser nachspülen, sonst wird’s
bitter. Die Auswahl an Fischen ist groß. Wir kaufen Dorade. Leider haben wir
die Öffnungszeiten der Geschäfte falsch eingeschätzt und so macht nach unserem
Strandbesuch der Supermarkt im 15 Kilometer entfernten Marina die Campo um halb
zwei für 3 Stunden zu. Wir sind fünf nach halb da. Ich frage einen Verkäufer,
ob wir noch schnell etwas kaufen dürfen. Er sagt, wir sollen uns Zeit lassen.
Und kaufen Dorade. Leider möchte uns die Fischverkäuferin den Fisch nicht mehr
küchenfertig zubereiten. So stehe ich also fünf stehen später und mit einem
metallenen Topfkratzer, einer stumpfen Schere und einem stumpfen Messer
bewaffnet an der Spüle. Wässer einlassen, Fische ins Wasser legen, am Schwanz
packen und vom Schwanz zum Kopf abreiben und entschuppen. Das war einfach.
Fische raus, Wasser raus, Wasser an. Jetzt das Tier öffnen. Die Innereien wölben
sich mir wurstig entgegen. Das ging ja leichter als gelacht. Und weniger eklig
als gedacht. Ich greife beherzt in die Bauchhöhle - und das Unvermeidliche
passiert: die Galle platzt. Also spülen, spülen, spülen. Angesichts des knappen
Wassers auf Elba schießt mir kurz die Röte ins Gesicht und ich murmle ein „Verzeihung“
für die Verschwendung. Fisch Nummer zwei. Schere rein, Innereien raus, Galle
platzt. Wieder Röte in meinem Gesicht. Diesmal wegen meiner Trotteligkeit. Noch
mehr Wasser. Die Fische sind fertig. Lilith füllt sie. Mit Rosmarin. Zitronen.
Knoblauch. Olivenöl. Salz. Pfeffer. Das Feuer brennt. Der Fisch grillt vor sich
hin. Ein Genuss. Der Duft der Insel, das Land und seine Farben, all das liegt
eine halbe Stunde später auf unseren Tellern. Ich fülle mir noch schnell etwas davon
in einen Flakon. Wer weiß, vielleicht werde ich es mir eines dunklen abends in
Deutschland hinter meine Ohren tupfen.
„Maria ihm schmeckt’s“ nicht
las ich mit stillem Vergnügen. Da ich den Film noch nicht kannte, setzten wir
uns am ersten, müden Abend auf unsere Terrasse, schürzten das iPad und sahen
diese süßmelancholische Komödie über den holprigen Hochzeits-Weg eines
Deutschen und einer Halbitalienerin in einem Dörfchen in Süditalien, deren
Aufgebot durch eine Aneinanderreihung von „Domani!“ (also „Morgen“), „Domani
Domani!“ „Vier „Domani“ später!“ dezent verzögert wird. Ich habe Tränen gelacht
über diese leicht überzogene, immer aber irgendwie echt und wirklich wirkende Darstellung.
Am nächsten Morgen wartete ich auf den Fischhändler, der um zehn Uhr sein Lager
auf dem Kirchplatz aufschlagen soll. Um viertel nach zehn fragte ich eine
Einheimische, ob denn der Fischhändler heute noch komme. Sie lacht mich an: „Domani!“ und zuckt die Schultern. Ich
verschlucke mich fast an meinem Lachen. Sie wirft mir noch ein mittlachendes „Glück, Glück“ entgegen. Ich schaue ihr
in die Augen und nicke. Ja, es ist ein Glück, hier zu sein. Und ich freue mich
auf das nächste Mal.
A domani, Italia.
A domani, Italia.
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